Die Kinder entscheiden selbst

Das Besondere an der Kita am Campus ist das offene Konzept. Die Kinder stehen im Mittelpunkt, als Selbstgestalter und Akteure ihrer eigenen Entwicklung. Es gibt keine festen Gruppen und Gruppenräume, sondern Bildungs- und Erfahrungsräume. Jedes Kind kann jeden Tag frei wählen, wo und mit wem es spielen möchte. Das Angebot ist groß.

An diesem Morgen sind die Innenräume eher leer, die meisten Kinder haben sich für den großen Außenbereich entschieden. Hier gibt es keine „besonderen“ Spielgeräte, sondern ganz klassisch: Schaukel, Klettergerüst, Sandspielbereich, und eine große freie Rasenfläche mit viel Platz zum Rennen oder Ballspielen, einfach viel freier Raum. Das macht kreativ und auch aufmerksamer für die Natur. Elias schwärmt: „Ich lieb die Bäume draußen, wo auch dieser Baumbusch ist, der schon angefangen hat zu blühen“. Und Anna möchte mir unbedingt ihren Rosmarin im Hochbeet zeigen. „Den hab ich gepflanzt und den hier meine Erzieherin. Er riecht so gut und ich darf ihn auch mit nach Hause nehmen, für meine Mama. Sie braucht ihn manchmal zum Kochen.“

Bauen, Forschen, Basteln und bewegen

Einige Kinder hat es doch in die Innenräume gezogen. Hier gibt es den Bewegungsraum mit Klettergerüst, Matten und Stapelkisten. Eine Künstlerwerkstatt, die alle denkbaren, teilweise selbst gesammelten Materialien zum Malen, Basteln und Kreativsein anbietet. Drei Kinder experimentieren gerade mit Erde und Sand: Kann man mit Erde malen? Welche Farben kann man daraus selbst machen? Im Bau- und Konstruktionsraum entstehen in einer Ecke heute Bauwerke aus Legosteinen. Das Angebot ändert sich auch hier häufig. Der große Schrank hält zig Möglichkeiten an Material zum Konstruieren bereit. „Es ist aber wichtig, die Auswahl zu beschränken, nicht alle Spielsachen gleichzeitig anzubieten, lieber öfter zu wechseln“, erklärt Beate Beckenhaub, stellvertretende Leiterin der Kita am Campus.

Mathias, was gibt es heute?

Ein paar Jungs sind gerade im Flur unterwegs, weil sie noch im Bistro bei Koch Mathias vorbeischauen wollen, um ihn zu fragen, was es heute Mittag Leckeres zu essen gibt. Und sie freuen sich, denn es gibt Pizza! „Diese Nachricht verbreitet sich jetzt rasend schnell im ganzen Kindergarten“, erklärt Mathias Heinkel, der seit August letzten Jahres hier täglich kocht. Auf dem Weg zum großen Essraum kommen die Kinder ganz automatisch an Mathias in seiner großen offenen Küche vorbei. „Die Arbeit hier und die Interaktion mit den Kindern macht richtig Spaß. Ich habe in der Zeit viel gelernt, was sie mögen und dass sie keine Aubergine essen dürfen, da es eine Tabakpflanze ist.“ Alles wird hier frisch mit hochwertigen Produkten zubereitet, es gibt nichts Vorproduziertes. „Das ginge auch gegen meine Berufsehre“, lacht der Koch. Er ist hier sehr beliebt: „Mathias ist ganz wichtig für die Kinder“, erklärt Beckenhaub, „sie können hier direkt miterleben, wie gekocht wird, beobachten, riechen und ganz nah dabei sein.“

Wo gehts zum Morgenkreis?

Mitten im Gespräch hören wir ein Glockenläuten, das Zeichen für die Kinder, dass jetzt der Morgenkreis beginnt. Aber wie funktioniert das ohne feste Gruppenräume? Woher wissen die 70 Kinder, wer jetzt wo hingeht? „Jede der Erzieherinnen hat ihre Bezugskinder. Die Kinder wissen, dass sie sich zum Morgenkreis in dem Raum treffen, in dem ihre Bezugserzieherin gerade ist. Die Räume werden alle 4 bis 6 Wochen neu belegt“, erklärt Beckenhaub. Ich darf heute mit dabei sein bei Erzieherin Katja Stiefvater und ihren Bezugskindern.

Fragen über Fragen

Im Raum breitet Erzieherin Katja eine grüne Decke auf dem Boden aus und legt verschiedene Steine und Muscheln, Taschenlampe und Lupen darauf. Aber erst mal wird gezählt, ganz in Ruhe, alle machen mit. Linus zählt 13 Kinder und 3 Erwachsene. Dann bin ich dran. Die Kinder wollen wissen, wer ich bin und was ich hier mache. Sie haben viele Fragen an mich. Und Katja hat viele Fragen an die Kinder. Sie nimmt jede Antwort sehr ernst. „Offenbleiben ist wichtig. Ihnen nichts vorgeben wollen und selbst einfach mal den Mund halten und zuhören. Es ist anstrengend, aber das ist es wert.“

Alle lernen gemeinsam

Welcher ist der Feuerstein? Wie fühlen sich die Steine an? Gibt es wirklich Steine, die anfangen zu stinken, wenn man sie nassmacht? Elias geht kurz nach draußen und kehrt mit dem nassgemachten Kalkstein zurück. Alle dürfen riechen – und tatsächlich: Nass riecht er anders. Am beliebtesten ist ganz klar der selbst gefundene Wurststein, „der ist orange und sieht aus wie eine Wurst, aber viel härter“, sagt Anna. Es macht Spaß, dabei zu sein. Die Kinder erzählen viel und gern und auch für mich gibt es viel Neues zu entdecken.

„Wir haben sehr redegewandte Kinder hier und das wird auch gefördert. Sie wissen, was sie wollen und können sich dazu gut äußern“, erklärt Katja. „Das Wichtige dabei ist, ganz feinfühlig dabei zu bleiben, was die Kinder gerade interessiert, was sie wollen. Und das Schöne ist, dass wir täglich mit den Kindern zusammen lernen. Denn auch für uns gibt es noch so viel zu entdecken“, erklärt sie mit einem Strahlen im Gesicht.

Wie entsteht eigentlich ein Sandstrand?

Die Kita am Campus trägt das Zertifikat „Haus der kleinen Forscher“. In diesem Jahr entdecken und forschen die Kinder zum Thema „Geheimnisvolles Erdreich – die Welt unter unseren Füßen“. Dazu gehörten auch die Steine heute früh im Morgenkreis bei Katja. In der Künstlerwerkstatt probieren sie heute, unterschiedliche Sandsorten einzufärben. „Wir haben auch mit Sand geforscht, haben Früchtetee dazugetan und dann gewartet. Meiner sah aus wie Beton und war ganz hart“, erklärt Elias. „Und wir haben mit dem Hammer Muscheln zerschlagen, Sandstrand am Meer entsteht aus zermahlenen Muscheln, das haben wir rausgefunden,“ – wieder was gelernt, denke ich mir.

Bessere Beziehungen durch Marte Meo

Während wir möglichst leise im Krippenbereich unterwegs sind – hier schlafen gerade schon einige Kinder – erfahre ich etwas zu Marte Meo, eine viel und gerne genutzte Methode zur Entwicklungsunterstützung. „Die Erzieherinnen filmen sich selbst oder sprechen einander an, ob eine Kollegin sie mal in einer Situation mit einem bestimmten Kind filmen kann“, erklärt Beate Beckenhaub. „Beim Anschauen der Filme wird gemeinsam überlegt, was ist gut gewesen in der Interaktion? Gab es Blickkontakt, war die Stimmlage freundlich und welche Möglichkeiten gibt es, um positiv auf die Beziehung einwirken zu können. Auch für Eltern kann das genutzt werden, wenn beispielsweise die Wickelsituation in der Kita ganz entspannt ist, zu Hause aber eher schwierig.“ Das kommt mir bekannt vor, denke ich.

Wir haben heute viel gelernt

Es war ein spannender Vormittag in der Kita am Campus mit vielen Anregungen für den eigenen Alltag. Beeindruckt hat mich vor allem die Philosophie des sich selbst Zurücknehmens, des Fragens und Zuhörens der Erzieherinnen und Koch Mathias. Im Blickkontakt mit den Kindern zu sein ist wichtig und offenzubleiben, sie nach ihrer Meinung und ihren Wünschen zu fragen und diese ernst zu nehmen und sie mehr selbst entscheiden zu lassen, das hat sich eingeprägt. Wir verabschieden uns und ich nehme mir vor, einiges von hier mit nach Hause zu nehmen, zu meinen Kindern.

Kindertagesstätte am Campus

Landrat-Neff-Str. 2
64720 Michelstadt
Büro: 06061-999 91 01

Leitung

Christina Schuller, Beate Beckenhaub (Stellv.)

Träger

Magistrat der Stadt Michelstadt

Plätze

36 Krippenkinder, 75 Kindergartenkinder

Betreuungszeit

7.00 bis 17.00 Uhr

kitaamcampus@michelstadt.de
www.michelstadt.de