Wenn die Puppen tanzen

Wenn Petzi, Pingo und Pinocchio auf die Bühne kommen, ist Stimmung angesagt im Saal der Darmstädter Comedy Hall: Denn dann lässt das Kikeriki-Theater die Puppen für Kinder tanzen. Zuschauer verwandeln sich dagegen beim Aschaffenburger Märchen-Mitmachtheater in Bühnendarsteller, und die „Bannoser“ in Brensbach machen Theater von Jugendlichen für Jugendliche. Doch die regionale Theaterwelt bietet noch viel mehr. Hier steigen coole Theaterfestivals wie die „Starken Stücke“ vom 17. bis zum 28. März, umgestaltete Bauwagen werden zur kreativen Bühne und mobile Theater wie das „Tatüt“ (siehe Interview) tingeln mit fantastischen Kinderstücken durch die Region.

Achtung also: Es könnte durchaus sein, dass der Theaterfunke auch auf euch überspringt und ihr Lust bekommt, selbst zu spielen. Wir geben euch in den nächsten fünf Ausgaben immer wieder Tipps, wo und wie ihr es ausprobieren könnt.

Unschlagbares Präsenz-Erlebnis

Ulkige Komödien, herzzerreißende Tragödien: Das klassische Theater haben schon die alten Griechen erfunden, die Ursprünge gehen noch weiter zurück. Seine Faszination hat es sich über die Jahrhunderte bewahrt. Doch ist diese Unterhaltungskunst heute überhaupt noch zeitgemäß – in einer digitalisierten Welt, in der Millionen Filme und Serien jederzeit auf Netflix & Co. abrufbar sind? „Unbedingt!“, sagt Lina Zehelein, Leiterin der Theatervermittlung am Staatstheater Darmstadt. „Gerade das Analoge, das Präsenzerlebnis, ist heute wichtiger denn je. Denn alles geschieht genau jetzt auf der Bühne, das macht jede Vorstellung anders – und einmalig.“

Theater ist keine Einbahnstraße wie Kino oder Fernsehen. Es lebt vom Austausch. Als Publikum sind wir mittendrin im Geschehen, wir lachen mit, zittern mit, die Emotionen liegen praktisch in der Luft. Wir werden von der Bühne aus wahrgenommen, geben Rückmeldung mit unserem Applaus, mit Zwischenrufen – oder gebanntem Schweigen.

Kinder haben die magische Welt in sich

Aber warum nur Zuschauer sein, wenn Mitmachen doch mindestens genauso viel Spaß macht? „Schon kleine Kinder schlüpfen ganz oft in Rollen, ohne darüber nachzudenken“, sagt Nadine Hilbert. „Sie haben die Fantasiewelt, die magische Welt noch in sich.“ Die Theaterpädagogin BuT in Ausbildung (Bundesverband Theaterpädagogik e. V.) und gelernte Erzieherin hat schon in den Kitas immer wieder Theaterstücke eingeübt. Vor drei Jahren hat sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht: Mit ihrer „Theaterwerkstatt“ bietet sie Theaterprojekte und Workshops für Groß und Klein an – und ist nach wie vor tief beeindruckt davon, was das Theaterspiel bei Kindern bewirken kann.

Schüchterne Kinder blühen in der Hauptrolle auf

„Ich habe erlebt, wie schüchterne Kinder plötzlich eine Hauptrolle spielen“, sagt Nadine Hilbert und erzählt von einem ihrer ersten Aufträge, einem integrativen Theaterprojekt mit Dritt- und Viertklässlern. Eine bunt gemischte Gruppe sei das gewesen, die im Laufe eines Schuljahres zu einer starken Gemeinschaft zusammengewachsen sei. Freundschaften seien entstanden und auch von Lehrerseite kam die Rückmeldung, dass sich die Kinder verändert hätten.

Wie gelingt so etwas? „Spaß ist die oberste Regel. Denn nur mit Freude lernt man“, ist Hilbert überzeugt. „Ganz wichtig ist es, den Kindern zu vermitteln, dass es kein „Falsch“ gibt.“ Es gehe auch nicht ums Auswendiglernen von Texten – die entstünden wie von selbst. „Auf den Prozess kommt es an, nicht aufs Ergebnis. Ich schaue, was entsteht da mit den Kindern, welche Dynamik steckt da drin?“

„Eigentlich will ich gar nicht gemein sein“

Beim Theater gehe es auch immer um Emotionen – wenn zum Beispiel Szenen zum Mobbing nachgespielt werden. „Wir haben diese Szene immer wieder gespielt, die Rollen immer wieder anders verteilt, und zwischendrin angehalten, reflektiert und die Kinder gefragt, wie sich das anfühlt. Dann kam als Rückmeldung: Komisch fühlt es sich an. Eigentlich will ich doch gar nicht gemein sein.“ So könne jeder selbst erleben, wie es sei, in den Schuhen des Anderen zu stecken. Und was eine kleine Veränderung in der Reaktion bewirken könne.

Mitmachen im Staatstheater Darmstadt

Fürs Theater ist es nie zu früh
Die Welt des Theaters, sie ist vielmehr ein ganzer Kosmos. Und für Familien mit kleinen Kindern ist es nie zu früh, erste Tuchfühlung aufzunehmen – entsprechende, kindgerechte Angebote gibt es zum Beispiel beim Staatstheater Darmstadt:

1

Mini- und Teddykonzerte für die Kleinsten

Bei den Minikonzerten sind schon die Allerkleinsten ab Null willkommen, und auch die kurz gehaltenen Teddykonzerte sind mit Programmen wie „Peter und der Wolf“ auf ein junges Publikum ab drei Jahren zugeschnitten. „Da stört sich auch niemand dran, wenn der Sprössling lieber im Saal herumläuft, statt brav neben der Mama zu sitzen“, sagt Vermittlungschefin Lina Zehelein.

2

Theaterspielplatz für Grundschüler

Beim Theaterspielplatz können Kinder zwischen sechs und zehn Jahren in verschiedenste Bereiche des Theaters hineinschnuppern. Mal gehen sie in die Requisite, mal erfahren sie, wie man mit Reis und einem Luftballon Geräusche macht. Lina Zehelein: „Die Kinder haben Spaß, weil sie selbst kreieren können, gemeinsam gestalten und ihre eigenen Fähigkeiten kreativ in die Gruppe einfließen lassen können.“
Seit Juni 2020 gibt es auch einen Youtube-Kanal „OnlineTheaterspielplatz“ mit Ideen zum Kreativwerden.

3

Mit der Familie hinter die Bühne

Ein Erlebnis für die ganze Familie sind die Familienführungen. „Besonders wenn wir auf die Bühne im Großen Haus gehen, sorgt das regelmäßig für einige „Ahs“ und „Ohs“, sagt Zehelein. Immerhin hat das Staatstheater die drittgrößte Bühne in Deutschland. Vielen werde auch erst bei der Führung bewusst, wie viele Menschen nötig sind, damit der Vorhang erst aufgehen könne. „Wir sind ja eines der wenigen Theater, das noch fast alle Gewerke im Haus hat: Schusterinnen, Schneiderinnen, Schlosser…“

4

Theater für alle

Überhaupt nimmt Zeheleins Abteilung „Mitmachen und Vermittlung“ ihre Rolle sehr ernst. „Wir wollen Theater als kreativen Ort erlebbar machen, vor allem für Menschen, die damit bisher wenig Berührung hatten“, so Leiterin Lina Zehelein. Von Theaterwerkstätten über Schulkooperationen bis hin zu Projekten mit arbeitslosen Jugendlichen: „Uns geht es darum, dass sie Theater als einen Ort erfahren, an dem es nicht um Logik geht, sondern um Kreativität. Als einen Ort, an dem es kein „richtig oder falsch“ gibt. Und wo das Scheitern auch dazugehört.“

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