Von der Mausefalle bis zum Waschmittel, von Gummistiefeln bis zu Schokokeksen, vom Schleich-Tier bis zum Schampus – in Rainer Feicks Laden gibt es schier alles, was man für Haus(-tier) und Hof braucht. Und dann natürlich das Kerngeschäft: regaleweise Mehle und Getreideprodukte vom Dinkelvollkorn-Schrot, übers Einkorn- bis zum Roggenmehl, von der handlichen Kilopackung bis zum 10-Kilo-Sack.
Im Winter läuft der Betrieb zu 90 Prozent über Wasserkraft und zu 10 Prozent mit Strom.
Zeitreise zu einem uralten Handwerk
So eindrucksvoll der Mühlen-Laden auch ist – das Herzstück des Betriebs ist die eigentliche Mühle. Wir nehmen also nicht den Ladeneingang, sondern folgen Rainer Feick durch eine kleinere Tür nebenan. Und finden uns gleich in einer anderen Welt wieder. Laut ist es hier drin, im schummrigen Licht drehen sich gigantische Holzräder der Transmission mit aufgespannten Lederriemen: Der Motor der Mühle! Er arbeitet im Prinzip genauso wie vor Jahrhunderten, auch wenn es im Mühlgraben schon lange kein Mühlrad mehr gibt. Stattdessen überträgt eine Turbine die Kraft vom Wasser auf Wellen und Getrieberäder und letztendlich auf die Mahlwerke. Zumindest dann, wenn genügend Wasser da ist. „Im Winter läuft der Betrieb zu 90 Prozent über Wasserkraft und zu 10 Prozent mit Strom“, erklärt Feick. „Im Sommer ist es genau andersherum“.
Staubig ist es hier in der Mühle. Klar, immerhin werden hier täglich bis zu vier Tonnen Getreide gemahlen. Rainer Feick mahlt alle Getreidesorten, die ihm die Bauern anliefern und produziert daraus alle Mehltypen – vom klassischen „Type 405“ beim Weizenmehl bis zum Roggenvollkorn. Und dann natürlich auch das Nibelungenkorn – Urgetreidemehle, die im Vertragsanbau erzeugt und selbst vermarktet werden. „Das ist eine breite Vielfalt. Das könnten die großen Mühlen gar nicht leisten“, erklärt Feick.
In der Gosse geht’s los
Um die Funktionsweise einer Mühle zu verstehen, beginnen wir am besten am Anfang. Die Landwirte entladen ihr Getreide in die „Gosse“, einem betonierten Graben.
Hier beginnt das Korn seine Reise, wird gereinigt und gewogen und es wird die Feuchtigkeit bestimmt. Ist die zu hoch, muss das Getreide getrocknet werden, sonst droht Pilzbefall. Eine aufwändige und teure Prozedur ist das. „Deshalb bemühen sich die Bauern auch, zum richtigen Zeitpunkt zu ernten“, meint Feick.
Vor dem Mahlen einen Probeteig anrühren
Einigermaßen kurios ist der nächste Arbeitsschritt: ein Probe wird vermahlen und zu einem Teig angerührt! In einem Schnelltest lässt sich feststellen, ob die Klebekraft des Getreides ausreicht, um Backwaren herzustellen. „Sonst zerfließt der Teig zu einem Fladen“, erklärt der Müller. Getreide, das den Klebetest nicht besteht, wandert als Futtergetreide in eines der riesigen Silos. Fürs Backgetreide geht’s hingegen ans Mahlen.
Unterm Dach rüttelt’s
Wir steigen über eine steile Holztreppe nach oben. Vier wuchtige, rot lackierte Maschinen arbeiten auf Hochtouren: die Walzenstühle. In jedem rotieren zwei Metallwalzen. Sie schroten und mahlen das Korn. Nach jedem Durchlauf wird das Mehl per Luftdruck durch verschiedene Rohre nochmal eine Etage höher gepustet, in den Plansichter. Der funktioniert wie ein riesiges Sieb, rüttelt das Mehl, siebt Spelzen aus und schickt das, was noch zu grob ist, zurück auf die Walzenstühle. Die alten Holzdielen vibrieren und das ganze Gebäude scheint zu wackeln bzw. wackelt wirklich ein bisschen, erzählt uns Feick. Wir sind froh, wieder hinunterzusteigen.
Abgesackt und zugenäht
Auf dem Weg hinab zeigt uns Feick noch ein Gerät, das er für sein Nibelungenkorn braucht: den Entspelzer. Beim Urgetreide haftet die Spelze fest am Korn und wird hier entfernt. Ein zusätzlicher Arbeitsgang, der die Produktion dieses besonderen Mehls aufwändiger macht.
Zum Schluss werden alle fertigen Mehle durchgemischt und in riesige Säcke gefüllt „abgesackt“. Feick nutzt dafür papierne Säcke wie ehedem – wegen der Umwelt, wie er sagt.
500 Jahre alte Geschichte
Die Herrnmühle besteht bereits seit 1513.
Von der Familie Feick wird sie in der sechsten Generation betrieben, bis heute arbeiten Vater und Opa mit. Und trotz ihrer knarzenden Böden und dem Mehlstaub in der Luft ist diese Mühle ein kleines Juwel im Odenwald. Sie steht für eine lebendige Handwerkstradition und ist ein Stück unserer regionalen Identität. Ein halbes Jahrtausend hat sie auf dem Buckel, hat auch viele schwere Zeiten überstanden. Die Herrnmühle, sie ist eine der allerletzten ihrer Art. Glück zu – möge sie noch lange mahlen!
So kannst du die Herrnmühle in Reichelsheim finden
Die Herrnmühle
Darmstädter Str. 60
64385 Reichelsheim
Öffnungszeiten
Mo-Fr 8-18:30 Uhr
Sa 8-13 Uhr